Intergenerationelle Gerechtigkeit
Diesem Artikel liegt der Beitrag „Intergenerationelle Gerechtigkeit“<events Name="intergenerationelle Gerechtigkeit" keyword="intergenerationelle Gerechtigkeit"> Angebote zum Thema „intergenerationelle Gerechtigkeit“</events> von Andreas Lienkamp zugrunde, der in dem Buch „Schöpfung bewahren. Theologie und Kirche als Impulsgeber für eine nachhaltige Entwicklung“ im Jahr 2016 veröffentlicht wurde. In seinem Beitrag beschäftigt sich Lienkamp unter Berücksichtigung einschlägiger kirchlicher und säkularer Dokumente mit dem Konzept der intergenerationellen Gerechtigkeit.
Das Konzept der Generationengerechtigkeit ist breit gefächert. Es umfasst Themen wie soziale Sicherungssysteme, Finanzierung und Verschuldung, Zukunftsinvestitionen, Erinnerungspolitik und -kultur und schließlich auch die Ökologie. Der vorliegende Artikel legt seinen Schwerpunkt auf die ökologische Perspektive der intergenerationellen Gerechtigkeit.
Begriffsbestimmung
Der Begriff „Generation“ kann auf mehrerlei Weise interpretiert werden. Lienkamp verwendet ihn in dreierlei Hinsicht, nämlich als Bezeichnung für die frühere und bereits vergangene, die jetzt lebende und die in Zukunft auf der Erde lebende Bevölkerung.
Gerechtigkeit definiert Lienkamp in Anlehnung an den römischen Juristen Domitius Ulpianus als den Willen, jedem Menschen sein Recht zu geben und somit auch allen Generationen, die noch nicht existieren, das zu gewähren, was ihnen zusteht.
Intergenerationelle Gerechtigkeit selbst kann sowohl temporal als auch intertemporal bestimmt werden. Temporal umfasst sie alle synchron, also zu einer bestimmten Zeit, auf der Erde lebenden Generationen, intertemporal hingegen alle diachron, also über verschiedene Zeiträume hinweg, lebenden Menschen. Bei beiden Aspekten der intergenerationellen Gerechtigkeit beinhaltet der Begriff „Generation“ Bevölkerungsteile, die ihre eigenen Rechte nicht geltend machen können – sei es, weil sie bereits existieren, jedoch noch zu jung sind, oder sei es, weil sie erst in Zukunft existieren werden.
Dokumente zur intergenerationellen Gerechtigkeit
Die Gerechtigkeit ist untrennbar mit den Rechten und der Würde verflochten, die jedem Menschen zukommen, der auf der Erde lebte, gerade lebt oder in Zukunft leben wird. Das Handeln und Wirtschaften der gegenwärtigen Generation hat Auswirkungen auf die nachfolgenden Generationen, da die globalen Ressourcen begrenzt sind. Eine nachhaltige Handlungsweise hat also nicht nur die Bedürfnisse unserer Zeit im Blick, sondern auch die der nachfolgenden Generationen.
Säkulare Dokumente
Wichtige Entwicklungsschritte hin zu einer größeren Gerechtigkeit unter den Generationen waren folgende Dokumente:
- „The Limits of Growth“ wurde im Jahr 1972 im Auftrag des Club of Rome vom Massachusetts Institute of Technology (MIT) angefertigt. In dem Bericht werden angesichts der begrenzten Ressourcen die Bedürfnisse zukünftiger Generationen miteinbezogen und es wird die Entwicklung langfristiger Zielvorstellungen gefordert.
- Das Dokument „Our Common Future“ (Brundtland-Bericht) der World Commission on Environment and Development (WCED) von 1987 fordert einen fairen Ausgleich der Interessen. Eine nachhaltige Entwicklung müsse sowohl die Bedürfnisse der jetzt lebenden Menschen als auch die Bedürfnisse der künftigen Generationen im Blick haben.
- Die „Rio-Deklaration“ und die „Agenda 21“ der im Jahr 1992 in Rio de Janeiro veranstalteten United Nations Conference on Environment and Development (UNCED) formulieren in ihren Texten vier Dimensionen der Nachhaltigkeit. Diese vier Dimensionen sind: eine Ökonomie, die dem Gemeinwohl dient, soziale Gerechtigkeit, intergenerationelle Gerechtigkeit und Umweltgerechtigkeit.
- Im Jahr 1994 wurde das Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland um den Artikel 20a erweitert, der den Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen für künftige Generationen festlegt.
- Die „Erklärung über die Verantwortung der heutigen Generationen gegenüber den künftigen Generationen“, die im Jahr 1997 von der 29. UNESCO-Generalkonferenz verabschiedet wurde, benennt die Notwendigkeit einer intragenerationellen und intergenerationellen Gerechtigkeit.
Kirchliche Dokumente
Auch auf kirchlicher Seite erfuhr das Konzept der intergenerationellen Gerechtigkeit zunehmend Beachtung. Neben der Enzyklika „Laudato si‘“ sind vor allem folgende Dokumente zu nennen:
- Die vom Bischöflichen Hilfswerk MISEREOR e.V. und dem Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland e.V. (BUND) beim Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie in Auftrag gegebene, 1996 erschienene Studie „Zukunftsfähiges Deutschland. Ein Beitrag zu einer global nachhaltigen Entwicklung“ sowie die 2008 veröffentlichte Nachfolgestudie „Zukunftsfähiges Deutschland in einer globalisierten Welt. Ein Anstoß zur gesellschaftlichen Debatte“, gleichfalls vom Wuppertal Institut erarbeitet und in Auftrag gegeben von BUND, Brot für die Welt und dem Evangelische Entwicklungsdienst (EED).
- Das 1997 veröffentlichte Wirtschafts- und Sozialwort „Für eine Zukunft in Solidarität und Gerechtigkeit“ des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland und der Deutschen Bischofskonferenz.
- Die Erklärung „Handeln für die Zukunft der Schöpfung“ der Kommission für gesellschaftliche und soziale Fragen der Deutschen Bischofskonferenz aus dem Jahr 1998.
- Der 2006/2007 entstandene Text „Der Klimawandel: Brennpunkt globaler, intergenerationeller und ökologischer Gerechtigkeit der Kommission für gesellschaftliche und soziale Fragen und der Kommission Weltkirche der Deutschen Bischofskonferenz.
Als herausragendes Dokument von kirchlicher Seite zum Thema „Ökologie und intergenerationelle Gerechtigkeit“ gilt die Enzyklika „Laudato si‘“, die 2015 von Papst Franziskus veröffentlicht wurde.
In „Laudato si‘“ plädiert Papst Franziskus für eine ganzheitliche Sicht, die eine globale Perspektive und langfristiges Denken miteinschließt. Das Gemeinwohl, das den individuellen Interessen übergeordnet ist, beinhalte neben der Gerechtigkeit gegenüber den jetzt lebenden Menschen auch die Gerechtigkeit gegenüber den zukünftigen Generationen und der nicht menschlichen Schöpfung. Im Rahmen einer umfassenden Solidarität und ganzheitlichen Entwicklung erweitert Franziskus auch den Begriff der „Option für die Armen“ um die Armen der Zukunft. Diese Solidarität ist essenziell, da die Armen zusammen mit den zukünftigen Generationen die Hauptleidtragenden der Klimakrise sind und dabei die geringsten Möglichkeiten besitzen, in diesen Prozess einzugreifen, um ihn zu ändern.
Die Menschenrechte zukünftiger Generationen
In Bezug auf die Generationengerechtigkeit ist zweifelhaft, ob zukünftige Generationen bereits jetzt Rechte besitzen können. Die Schlusserklärung der Wiener UN-Menschenrechtskonferenz aus dem Jahr 1993 spricht vom universalen Charakter der Freiheiten und Rechte. Dieser universale Charakter kann jedoch nur vollumfänglich zum Tragen kommen, wenn „universal“ nicht allein als eine räumliche, sondern auch als eine zeitübergreifende Dimension verstanden wird. Die universalen Rechte und Freiheiten erstrecken sich also nicht nur auf alle Menschen, die aktuell auf der Erde leben, sondern auch auf jene, die erst in Zukunft auf der Erde leben werden.
Anstatt von Rechten der künftigen Generation kann auch von Pflichten der gegenwärtigen Generation gesprochen werden. Durch die Rede von Pflichten ließe sich das Konstrukt der Rechte der zukünftig lebenden Menschen umgehen. Dagegen lässt sich jedoch ins Feld führen, dass die bereits definierten Menschenrechte gegenüber den selbst auferlegten Pflichten eine höhere Schutzfunktion für die kommenden Generationen erfüllen.
Um die Generationengerechtigkeit für den Schutz der Menschenrechte dienstbar zu machen, sind die drei Prinzipien intergenerationeller Gerechtigkeit nach Edith Brown Weiss bedeutsam:
- 1) Jede Generation soll die natürliche und kulturelle Vielfalt bewahren, damit die künftigen Generationen dieselbe Vielfalt vorfinden, wie sie die vorherige Generation vorfand.
- 2) Jede Generation soll die Qualität der Erde und der Umwelt aufrechterhalten, damit sie sie genau so an die folgende Generation weitergeben kann, wie sie sie selbst empfangen hat.
- 3) Jede Generation soll ihren Mitgliedern den Zugang zum Erbe der ihr vorangehenden Generationen ermöglichen und diese Zugangsmöglichkeit auch an die folgende Generation weitergeben.
Diese drei Prinzipien sollten dem politischen Handeln als Richtschnur dienen, damit die Rechte künftiger Generationen wirksam geschützt werden können. Um der politischen Tendenz, langfristige Entscheidungen nachrangig zu behandeln, entgegenzuwirken, ist es darüber hinaus notwendig, die staatlichen Verfassungsorgane um geeignete Institutionen zum Schutz nachfolgender Generationen zu erweitern. Dies kann durch sogenannte „Zukunftsräte“ geschehen, die die Interessen der künftigen Generationen politisch vertreten.
Literatur
- BUND & Misereor (Hg.): Zukunftsfähiges Deutschland. Ein Beitrag zu einer global nachhaltigen Entwicklung. Studie des Wuppertal-Instituts für Klima, Umwelt, Energie GmbH, Basel/Boston/Berlin 1996.
- Lienkamp, Andreas: Intergenerationelle Gerechtigkeit, in: Patenge, Markus; Beck, Roman; Luber Markus (Hg.): Schöpfung bewahren. Theologie und Kirche als Impulsgeber für eine nachhaltige Entwicklung, Regensburg 2016, S. 104–127.
Links
- Artikel zur Generationengerechtigkeit im Lexikon der Nachhaltigkeit
- Stiftung für die Rechte zukünftiger Generationen: Was ist Gerechtigkeit? Was ist intergenerationelle Gerechtigkeit?
- Prof. Dr. Andreas Lienkamp auf der Website der Universität Osnabrück
Aktuelle Literaturempfehlungen
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