Leitlinien Seniorenbildung
Die KEB München und Freising e.V. verankerte 2013 den Bereich Seniorenbildung in ihren Leitlinien Katholische Erwachsenenbildung in der Erzdiözese München und Freising. Im Folgenden finden Sie einen Auszug aus diesen Leitlinien, der sich mit dem Thema „Seniorenbildung“ beschäftigt:
1. Ausgangspunkt: das christliche Menschenbild
(s. u. „Standards Theologische Erwachsenenbildung“, S. 155f., und vgl. den Beitrag von Prof. P. Dr. Oster, S. 135ff.)
2. Von der christlichen Freiheit, alt zu sein
„Ich bin gekommen, dass sie das Leben haben und es in Fülle haben.“ (Joh 10,10). In einer Zeit, in der menschliches Leben oft aus dem Blickwinkel von Kostenberechnung und wirtschaftlichem Nutzen angeschaut wird, können Christen und besonders älter werdende Christen eine ganz eigene Botschaft ihrer Freiheits- und Würdegeschichte entdecken und leben, wenn sie ihr Leben als einen Lebensweg von Gott her deuten und annehmen. „Noch ehe ich dich im Mutterleib formte, habe ich dich ausersehen, noch ehe du aus dem Mutterschoß hervorkamst, habe ich dich geheiligt, zum Propheten für die Völker habe ich dich bestimmt.“ (Jer 1,5)
Jede Zeit, jede Situation und jeden Ort als Gabe und Aufgabe von Gott anzusehen mit allen ihren Erfüllungen und ihren Zumutungen, ist lebenslange christliche Bildungsaufgabe – ermöglicht durch viele Selbstoffenbarungen Gottes an die Menschen. Sie beginnen mit dem Wort an Mose: Ich bin der „Ich bin da“ (Ex 3,14). Bis heute können Menschen in allen Lebenslagen Gott bei seinem eigenen Wort nehmen, wenn sie ihn anreden: Jahwe – Du, der du da bist– für mich, lass mich deine Anwesenheit erfahren in meinem Leben. Und alle Offenbarungen finden ihren ganz konkreten Ausdruck in dem „Wort, das Fleisch geworden ist“, in Jesus. An seinem Leben können wir Haltungen und Leitbilder entdecken, die uns Orientierungen geben für die Kunst, in Freiheit und Würde alt zu werden, und die Kunst, andere in guter Weise alt werden und sein zu lassen.
Wir führen den Begriff Senior (von lat. „senior“ = „älter“) ein und verfolgen damit die Absicht, die mit den Begriffen „Altenbildung“ oder „Seniorenbildung“ verbundenen negativen Konnotationen durch einen Begriff zu ersetzen, der in anderen Beziehungen (Wirtschaft, Universitäten) mit Führungspositionen bzw. einem umfänglicheren Wissen verbunden ist.
Jesus beruft Fischer zu Menschenfischern (Mk 1,17). Menschen aus dem Wasser fischen, das ihnen möglicherweise sogar bis zum Hals steht, heißt Ja zu sagen zu einer solidarischen Lebensweise. Wer solidarisch lebt, traut dem Wort Jesu: Das Reich Gottes ist nahe. Er übernimmt Verantwortung für die eigene Lebensgestaltung und nimmt darüber hinaus Anteil an seiner Umgebung, entwickelt Ideen und Beiträge zu einem guten Leben, geht an Not nicht unachtsam vorüber, sondern lernt immer wieder neu, sich im Rahmen seiner Fähigkeiten und Grenzen einzusetzen für die Botschaft vom Reich Gottes. Wer solidarisch lebt, nimmt auch (notwendige) Hilfen an, wenn sie die Einschränkungen des Alters erfordern. Jesus integriert Menschen und stellt sie in die Mitte einer Gemeinschaft, wenn sie, aus welchen Gründen auch immer, im Abseits stehen. Zur Integration von Mitmenschen beizutragen, heißt Ja zu sagen zu individuellen Lebensgeschichten, die von den unterschiedlichsten Begabungen wie Einschränkungen, von Erfolg wie Misserfolg, von Gesundheit wie Krankheit geprägt sein können, und die Anstrengungen und Mühen zu achten, die mit jedem Leben verbunden sind, unabhängig von der jeweiligen öffentlichen Meinung über ein sogenanntes „gelungenes“ Leben (vgl. u.a. Mk 3,1–6; 5,21–34). Jesus ermöglicht Menschen, die Vergangenheit anzunehmen und unbelastet die Zukunft zu gestalten. Ältere Menschen schauen oft bedrückt auf Phasen ihres Lebens zurück, die ihrer Einschätzung nach nicht gelungen sind. Da hat das Schicksal Pläne durchkreuzt. Da haben eigene Entscheidungen, manchmal auch Schuld Zukunftstüren zugeschlagen. Im Gespräch mit Jesus dürfen Menschen lernen: Jesus lässt stehen, was gewesen ist. Er schaut auf die Fähigkeit des Menschen, das Gute zu erkennen und sich entsprechend neu zu entscheiden. Er ermutigt Menschen zu neuen Lebensschritten. Alter ist so individuell und facettenreich wie Leben überhaupt: für die einen Zumutung, für die anderen Erfüllung. Wie jede Lebensphase kennt das Alter Begrenzungen und Erfüllungen, aber auch Wachstum und reifendes Leben. So kann es als eine weitere Zeit des Aufbruchs gelebt werden, in der der Mensch dem lebensspendenden Gott entgegengeht und nicht etwa nur einem Lebensende. Im Vertrauen darauf, dass Gott unser Leben mit uns lebt, können wir ausziehen aus dem Land der lähmenden Angst vor dem Alter. Wir können inmitten unserer Fragen und auch berechtigten Sorgen nach Wegen und Möglichkeiten suchen, damit Leben auf dem Boden göttlicher Verheißung auch schon im Hier und Jetzt aufblühen kann, gerade auch in einem Miteinander und Füreinander.
3. Altern in der Gesellschaft
Jede/r altert anders
Die Individualisierung der Gesellschaft hat auch die Phase des Alters längst erreicht. Traditionen und Rollenzuweisungen spielen oft keine verbindliche Rolle mehr, stützen somit auch den Einzelnen nicht mehr durchgängig in der Gestaltung seines Lebens. Das Altern heute ist gestaltbar, aber auch gestaltungsnotwendig geworden.
Das Dritte, Vierte und Fünfte Alter
Die Zeitdauer der Lebensphase Alter beträgt durchschnittlich 30 Jahre. In dieser Zeitspanne geschieht so viel an individuellen physischen und psychischen Veränderungen, dass man sich auf die Einteilung in ein drittes (chancenreiches), viertes136 (eingeschränktes) und fünftes137 (abhängiges) Alter verständigt hat. Das dritte Alter meint die Lebensphase nach dem Ausstieg aus dem Erwerbsleben bzw. nach Beendigung der Familienphase. Die Frauen und Männer im dritten Alter verfügen über reiche Ressourcen und Kompetenzen, die sie nutzen, um ihren Interessen nachzugehen, Beziehungen zu pflegen und neue Aufgaben zu übernehmen. Das vierte Alter wird einer Lebenslage zugeordnet, in der der Mensch einen großen Teil seiner physischen, psychischen und materiellen Ressourcen dem täglichen Selbsterhalt widmen und immer mehr die Hilfe von pflegenden Menschen bzw. Institutionen in Anspruch nehmen muss. Bei einer vollständigen Abhängigkeit von Pflege und Betreuung spricht die neuere Gerontologie auch vom fünften Alter. 136 Drittes und viertes Lebensalter: vgl. KBE-Leitlinien. 137 Drittes, viertes und fünftes Lebensalter: vgl. Rosenmayr, Altern im Lebenslauf, 1969.
Wandel der Lebensstile
Im Vergleich zur Ruhestandsgeneration der 80er-Jahre geht es heute den Menschen im Alter, mit dem Blick auf die lange zeitliche Perspektive, um Fragen der Intensivierung des Lebens sowie um die stärkere Einbeziehung der Sinndimension. Es geht um soziale Teilhabe und Mitgestaltung. Nicht ihren Lebensstandard wollen sie verbessern, sondern ihre Lebensqualität. Sie wollen eine Antwort auf die Frage haben, wofür sie leben. Der Wandel der Lebensformen stellt sich in gesellschaftlich relevanten Merkmalen dar:
- Entberuflichung: Die gewonnenen Jahre im Alter sind das Ergebnis von verlängerter Lebenserwartung und in vielen Fällen frühzeitigem Berufsausstieg.
- Singularisierung: Mit zunehmendem Alter steigt der Anteil Alleinlebender und die Anzahl der Einpersonenhaushalte.
- Feminisierung: Im Alter steigt der Anteil der Frauen aufgrund ihrer Verwitwung und der höheren Lebenserwartung. Auch die Armut im Alter ist in höherem Maße ein Frauenschicksal.
Der Wert der Bildung – Lernen im Alter
Lernen bedeutet umdenken. Der Ältere konsumiert nicht wahllos neues Wissen, sondern wählt aus, knüpft neue Bedeutungen aus seiner Erfahrung heraus. Bildung und Kultur dienen der Neuorientierung, der Veränderung, der Änderung des Kontextes.138 Das letzte Stadium im menschlichen Lebenszyklus besteht darin, „Integrität“ zu erreichen, das was man geleistet hat und was man im Laufe des Lebens versäumte, zu einer sinnvollen Geschichte zusammenzufassen, die man als seine eigene annehmen kann.139 Die Frage nach der subjektiven Bedeutung des Gelernten ist Ausgangspunkt des biografischen Lernens. Biografiearbeit bedeutet, das Bewusstsein dafür zu schärfen, das Leben in eigener Regie gestalten zu können.
4. Leitbild der KEB
In ihrem Leitbild beschreibt die KEB Zielsetzungen ihrer inhaltlichen Arbeit in sechs Themenbereichen – persönliche Entwicklung; partnerschaftliches Miteinander in allen Lebensbereichen; Glaube/Kirche/ Theologie; Schöpfungsspiritualität; kulturelles, soziales, politisches Engagement; Arbeitswelt. Darüber hinaus enthält das Leitbild auch Beschreibungen des KEB-Selbstverständnisses in Bezug auf Zusammenarbeit, Mitteleinsatz, Qualität der Arbeit, Marketing, Kompetenz der Mitarbeiter/innen. Im gesamten Leitbild wird eine Sicht auf das Leben beschrieben, die ähnlich wert- und sinnorientiert, selbst- und sozialverantwortlich ist, wie sie das christliche Menschenbild und das christliche Bild vom Altern nahe legen. Dies passt zu einem sich wandelnden gesellschaftlichen Verständnis von einem „Altern in Verbundenheit“ und „gestalteten Leben im Alter“.
5. Qualitätskriterien für Angebote der Seniorbildung in katholischer Trägerschaft
- Entsprechend unserem Grundverständnis von Seniorbildung sprechen unsere Angebote Körper, Geist und Seele an, in der speziellen Verschränkung von Sinn-, Sach- und Handlungsebene, mit dem Blick auf Selbstverantwortung und soziale Verantwortung.
- Wir arbeiten mit Referenten/-innen, die entsprechende fachliche Qualifikationen vorweisen, das KEB-Verständnis von Seniorbildung teilen und kommunizieren können und die allgemeinen didaktischen Anforderungen an Referenten/-innen in den jeweiligen Einrichtungen umsetzen, wie z.B. die Nutzung der Erfahrungen der Teilnehmer/innen, die Förderung der Kontakte in der Gruppe und den Blick auf die Transfermöglichkeiten in den Alltag der Teilnehmenden.
- Die katholische Trägerschaft des Angebotes ermöglicht die Unabhängigkeit von einseitigen wirtschaftlichen Interessen. Wir positionieren uns als unabhängige, wertorientierte Plattform für gestaltetes Leben im Alter, individuell wie gesellschaftlich.
- Angebote in der Seniorbildung fördern die Kompetenzen der Teilnehmenden, ausgehend von der je eigenen Lebensgeschichte. Sie geben unser Leitbild als Arbeitsgemeinschaft Katholische Erwachsenenbildung in der Erzdiözese München und Freising e.V. Impulse zur Persönlichkeitsentwicklung und einem selbstbestimmten, selbstorganisierten und sinnorientierten Altern in Verbundenheit. Damit unterstützen sie den versöhnlichen Blick auf das eigene Leben und die Verarbeitung kritischer Lebensereignisse.
- In unterschiedlicher Intensität geschieht dies in unseren Seminaren, Projekten, Vorträgen und Fachveranstaltungen für Mulitplikatoren/innen.
- Die Umsetzung unserer Qualitätsansprüche überprüfen wir entsprechend unserem Evaluationsverständnis, wie bei allen unseren Angeboten.
6. Zielgruppen
Der Ansatz der Seniorbildung in der KEB beinhaltet ein umfassendes Verständnis von Altern, das den Lebensalltag der Menschen auf körperlicher, geistiger, seelischer und sozialer Ebene betrifft. Entsprechend vielfältig und je nach Lebensphase, Lebenssituation und Beeinträchtigung unterschiedlich werden z.B. als Zielgruppen angesprochen:
- Multiplikatoren/-innen in der Seniorbildung
- Menschen im Dritten, Vierten und Fünften Lebensalter
- Menschen auf der Suche nach Kontemplation, Sinn, Glaubensorientierung, Spiritualität
- Menschen, die nach Kenntnissen und Fähigkeiten suchen, ihr eigenes Leben und Alter selbstständig und selbstbewusst zu gestalten
- Freiwillig und hauptamtlich Engagierte in der Altenarbeit
- (Betreuende, Pflegende) Angehörige
- Fachöffentlichkeit
- Mandatsträger/innen und Funktionäre/-innen in kommunalen und kirchlichen Strukturen
- Menschen, die ihr Wissen in der nachberuflichen Zeit systematisch erweitern wollen
- Menschen mit Interesse an intergenerationeller Begegnung
7. Qualifikationsprofil der Referentinnen und Referenten
Für Referenten/-innen in der Seniorbildung gelten die allgemeinen Anforderungen an Referenten/innen der einzelnen Mitgliedseinrichtungen (siehe jeweiliger QES.T-/LQW-Ordner, Referenten/innenleitfaden) wie z.B. Kenntnis des Qualitätsverständnisses und des Verständnisses von Erwachsenenbildung in der Einrichtung (z.B. ganzheitlich, Einbeziehung von Teilnehmer/innen-Erfahrungen, Prozessorientierung, Methodenvielfalt, Begegnungsaspekt, christliches Menschenbild, Evaluation), fachliche Kompetenz und Erfahrungen in der pädagogischen Arbeit. Entsprechend den Besonderheiten im Bereich der Seniorbildung wird im Qualifikationsprofil der Referenten/-innen besonderer Wert gelegt auf:
- eine wertschätzende Haltung gegenüber den Teilnehmern/-innen;
- die Akzeptanz der christlichen Wertorientierung;
- die Kenntnis der KEB-Standards zur Seniorbildung und die Fähigkeit, diese in den Gruppen zu kommunizieren;
- eine didaktische Grundhaltung, die darauf ausgerichtet ist: die Kommunikation und Kontakte in der Gruppe zu fördern durch geeignete Gesprächs- und Übungsimpulse; das Kursangebot so zu planen, dass die Inhalte auch in den Alltag der Teilnehmenden zu integrieren sind und damit eine Veränderung von Lebensgewohnheiten unterstützt wird; den Kursraum so zu gestalten (Gegenstände, Stille, Licht), dass eine ansprechende Atmosphäre entsteht;
- grundlegende Kenntnisse über Alternsprozesse und die Möglichkeiten einer positiven Gestaltung;
- Kenntnisse zu lebenslangen Entwicklungsprozessen (Entwicklungs- und Lerntheorien, Kenntnisse des Lern- und Bildungsverhaltens sozialer Milieus und verschiedener Altersgruppen, Diskontinuität);
- die Fähigkeit, ggf. Bildungsarbeit von Therapiearbeit abzugrenzen und dies in und mit der Gruppe zu kommunizieren und sensibel die Situation der einzelnen Teilnehmern/-innen aufzunehmen;
- die Bereitschaft zur Selbstreflexion (auch des eigenen Altersbildes) und das Interesse an persönlicher Weiterentwicklung.
8. Kooperationspartner
Im Sinne unseres Selbstverständnisses als wertorientierte, unabhängige Anbieter für Seniorbildung gehen wir themenorientierte und strategische Kooperationen mit Institutionen und Personen ein, die unser Verständnis von Seniorbildung teilen, unterstützen und ergänzen, wie z.B. Fachstellen des Ordinariates und der Caritas, Evangelische Partner, kommunale Initiativen und Vereine der freien Wohlfahrtspflege, Altenheime und Begegnungsstätten.
9. Rahmenbedingungen
Die Rahmenbedingungen der Angebote in der Seniorbildung richten sich nach den allgemein gültigen der Kreisbildungswerke. Bei der Finanzierung bestehen gute Möglichkeiten einer zusätzlichen Förderung über den Landesaltenplan und das Kuratorium Deutsche Altershilfe.