Lessons Learned: Mit 12 Fragen zu mehr Online-Glück in der Hochschullehre

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Vor- und Nachteile der Online-Lehre – ein Erfahrungsbericht

Der abrupte Einstieg in die Online-Lehre im März 2020 erfolgte für Lehrende, die zuvor nur in der Präsenzlehre tätig waren, sehr spontan und ohne eine Phase der Vorbereitung und sorgfältigen Auswahl didaktisch geeigneter Methoden und Techniken. Wider Erwarten fällt das Resümee mit Blick in die Hochschullandschaft in Summe sehr positiv aus.

Die Erfahrungen aus der (synchronen) Online-Lehre im Sommersemester 2020 aus der Sicht der Autor*innen im Hinblick auf ihre eigenen Module an der Fachhochschule Kiel bestätigen den positiven Gesamteindruck. Es gibt aber eine Reihe von Vor- und Nachteilen der synchronen Online-Lehre im Vergleich zur Präsenzlehre, die allgemeingültig zu sein scheinen. Um eine detailliertere Bilanz zu ziehen und diese Punkte im Sinne eines Kriterienkatalogs für die Bewertung der synchronen Online-Lehre im Vergleich zur Präsenzlehre gegenüberzustellen, soll folgende Tabelle 1 dienen:

Bewertungskriterien Vorteile in der synchronen Online-Lehre Nachteile in der synchronen Online-Lehre
a) Zugangskriterien für Teilnahme Internetzugang ist ausreichend, d. h. mobiler, ortsunabhängiger Zugang, Vermeidung von Fahr- und Transferzeiten


b) Technische Voraussetzungen


Plattformen und Lizenzen müssen vorhanden sein; Realisierung geht häufig mit hohem Technikaufwand, Kosten und rechtlichen Hürden einher
c) Skalierbarkeit in Bezug auf Studierenden-Anzahl Leichter skalierbar als raumgebundene Präsenzlehre, außerdem kein Raumbedarf und keine Raumbelegungsorganisation notwendig (Kostenfaktor Raum)


d) Motivation der Studierenden zur Teilnahme an den Veranstaltungen Vorteilhafter Zugang für Studierende mit langem Anreiseweg Intensität der persönlichen Begegnung deutlich geringer; im Gegensatz zu Präsenzveranstaltungen schwieriger, soziale Events in einer vertrauensvollen „Wohlfühlatmosphäre“ zu schaffen
e) Interaktion mit den Studierenden


Keine direkte und persönliche Interaktion i. e. S. möglich, Stimmung der Studierenden kann nur schwer erfasst werden; es werden nicht alle Sinne angesprochen, Mimik und Gestik der Studierenden sind schwerer zu erkennen
f) Aktive Beteiligung der Studierenden


Häufig größere Scheu vor Beteiligung im (ungewohnten) digitalen Raum
g) Gemeinsame Arbeit an Dokumenten, siehe z. B. Literaturarbeit Sehr einfach machbar über Bildschirmfreigabe und (gemeinsame) Arbeit am Dokument


h) Methodische Vielfalt und Einbindung weiterer digitaler Tools Sehr einfach machbar, hohe Interoperabilität mit einer Fülle von Tools


i) Einbindung der Beiträge von Studierenden, wie z. B. Präsentationen


Bewertung der Präsentationsleistung erfordert neue Kriterien
j) Arbeiten mit den Teams Teamarbeiten in der Online-Veranstaltung sind sehr einfach zu organisieren, siehe Breakout-Sessions bei Zoom Persönliche Nähe i. e. S. fehlt
k) Teamcoachings Coaching-Termine mit studentischen Teams sind sehr einfach zu organisieren, individuelle Team-Sessions Persönliche Nähe i. e. S. fehlt
l) Direkte Rückmeldungen an Studierende/Fortschrittskontrolle Leichteres Einbinden von Aufgaben, die von Studierenden ausgearbeitet wurden, durch Bildschirmfreigabe der Studierenden


m) Einbindung von Gastreferenten Sehr einfach zu organisieren, Akquise erleichtert, da Reisezeiten und -kosten entfallen


n) Studentisches Arbeiten in den Teams Ggf. mit den gleichen Tools wie in der Online-Veranstaltung, praxisnahes Arbeiten in virtuellen Teams wird bereits im Studium trainiert Positive Gruppeneffekte, wie z. B. gemeinsames Lachen und Spontaneität, nehmen ab
o) (Hochschulübergreifende) Zusammenarbeit der
Studierenden/Dozenten
Sehr einfach zu organisieren


p) Prüfungsleistungen am Beispiel Klausuren


Viele rechtliche und organisatorische Hürden


Die Übersicht in Tabelle 1 ergibt ein nahezu ausgewogenes Gesamtbild bezüglich der Vorteilhaftigkeit beider Varianten. Sowohl die Online- als auch die Präsenzlehre weisen eine Reihe exklusiver Vorteile auf. Der größte Nachteil der Online-Lehre sind die fehlende persönliche Nähe und die Herausforderung beim Aufbau einer vertrauensvollen Wohlfühlatmosphäre mit sozialer Geborgenheit im Kreise von Lehrenden und Studierenden (siehe auch das Engagement von Fachschaften bei der Digitalisierung der Betreuungsangebote für Erstsemester (Brüne, 2020)). Diesem Nachteil stehen aber viele Kosten- und Effizienz-Vorteile gegenüber. Für die Zukunft der Lehre gilt es nun, die Synergien zu identifizieren und in Form hybrider Konzepte zu nutzen

Erfolgsfaktoren der Online-Lehre – Das 5-Stufen-Modell von Gilly Salmon

Um den Einstieg in die Online-Lehre ohne allzu große Reibungsverluste vollziehen zu können, ist eine Orientierung am 5-Stufen-Modell der Online-Lehre von Gilly Salmon (Salmon, 2013) zu empfehlen.

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Gilly Salmon entwickelte bereits im Jahr 2000 (Salmon 2000) ein Modell, in dem sie anhand von 5 Phasen den Lernprozess von Lernenden in der Online-Lehre beschreibt. Diese Zerlegung des Lernprozesses dient damit als Rahmen für die nötige Unterstützung durch die Lehrenden. Das Modell unterscheidet in folgende 5 Stufen:

1. Zugang und Motivation
2. Online-Sozialisierung
3. Informationsaustausch
4. Wissenskonstruktion
5. Entwicklung (s. Abbildung, (Salmon, 2020)).

Dabei liegt ein besonderer Schwerpunkt auf den Stufen 1 und 2 „Zugang und Motivation“ und „Online-Sozialisation“. Die eigentlichen Fachinhalte werden erst auf den Stufen 3–5 (Informationsaustausch, Wissenskonstruktion und Entwicklung) vermittelt.

Gerade diese beiden Phasen stehen aber in der Regel in der Lehre bisher nicht im Mittelpunkt. Die klassische Betrachtung von Lehre konzentriert sich auf die Vermittlung von Inhalten bzw. Kompetenzen. Das wird auch deutlich, wenn man die Taxonomie der Lernziele nach Bloom betrachtet, die oft bei der Festlegung der Lernziele zugrunde gelegt wird. Die Taxonomie beinhaltet aufeinander aufbauende Lernstufen, die auf der reinen Wissensvermittlung und dann entsprechenden Wissenswiedergabe aufbauen (Lernzielstufen: Kennen, Verstehen, Anwenden, Analysieren, Synthetisieren, Bewerten). Diese Lernziele behalten auch für die Online-Lehre ihre Gültigkeit, d. h. sie sind unabhängig von dem gewählten Lehr- und Lernformat. Allerdings wird deutlich, dass eine solche Taxonomie nicht ausreicht, um die Ziele für die Lehre festzulegen. Als Voraussetzung für das Erreichen der Lernziele nach Bloom muss daher eine Grundlage gelegt werden, die ein gemeinsames Arbeiten von Lernenden und Lehrenden ermöglicht. Auch dies gilt unabhängig von dem gewählten Lern- und Lehrformat, unterscheidet sich aber vermutlich in der konkreten Ausprägung.

Die in dem Modell von Gilly Salmon ersten beiden Phasen ‚Zugang und Motivation‘ und ‚Sozialisation‘ können daher der Taxonomie der Lernziele nach Bloom vorgeschaltet werden.

Im vergangenen Corona-Semester haben Lehrende und Lernende feststellen müssen, dass der einfache Zugang zu den Lernplattformen oder den genutzten Tools Voraussetzung ist, damit ein Lernerfolg überhaupt möglich ist. Eine (unübersichtliche) Vielfalt von Tools führt nicht unbedingt zu Neugierde und Begeisterung, sondern kann im Gegenteil für Studierende durchaus erschöpfend und demotivierend sein.

Aber nicht nur die technischen Voraussetzungen sind die Grundlage des Lernerfolges. Vor allem die (Online-)Sozialisation ist hierfür nötig. Durch das gegenseitige Kennenlernen, das Schaffen von gemeinsamen Regeln für die Kommunikation und damit das Schaffen von Vertrauen soll erreicht werden, dass sich die Teilnehmenden in der Lernumgebung wohlfühlen und in der Gruppe partizipieren.

Handlungsempfehlungen für das kommende Semester

Erfolgreiche Lehre sollte geprägt sein von der Inspiration der Studierenden, nicht von nüchterner Informationsvermittlung: „Effective teaching focuses on why and how, not what. The goal should be to spark each student’s imagination, to find a hook in their heart and mind so that they feel a need to learn the material” (Seelig, 2016). Das Schaffen einer angenehmen, vertrauensvollen Lernatmosphäre ist unabdingbar. Dies gestaltet sich online schwieriger als in der Präsenzlehre, da die Studierenden in ihrer individuellen Lernumgebung allein und nur über den Bildschirm mit den anderen Studierenden und dem Lehrenden verbunden sind und in Videokonferenzen nicht alle Sinne angesprochen werden.

Wir möchten Ihnen einige Anregungen für die „Warm-up“-Phase zu Semesterbeginn geben, die insbesondere für die Online-Lehre geeignet sind:

  • Den Auftakt der ersten Sitzung sollte die ausführliche Vorstellung des Lehrenden bilden, um einen ersten Schritt zur Schaffung einer vertrauensvollen Lernumgebung zu machen. Der Lehrende könnte neben seiner fachlichen Vorstellung auch darauf eingehen, von wo er oder sie an den Videokonferenzen teilnimmt. Auch ein Hinweis auf die Besonderheit der gegenwärtigen Situation, die für die Studierenden, aber auch die Lehrenden eine Herausforderung ist, ist sinnvoll.
  • Direkt anschließend sollte auf allgemeine Regeln für den Kurs eingegangen werden. Zu diesen Spielregeln zählen das Einschalten der Kamera und die aktive Beteiligung an der Diskussion mit mündlichen oder Chatbeiträgen. Dieser Part könnte mit einem Perspektivenwechsel verknüpft werden: Die Studierenden mögen sich einmal vorstellen, wie sie sich fühlen würden, wenn sie die Rolle des Lehrenden innehätten und auf schwarze Kacheln schauen und Selbstgespräche führen würden?!
  • In der ersten Sitzung könnten des Weiteren auf dem Whiteboard die Berührungspunkte der Studierenden mit dem Modul gesammelt werden: Warum nehmen Sie an dem Modul teil? Welche Erfahrungen haben Sie mit dem Thema? Welche Erwartungen haben Sie an diesen Kurs?
  • Um das gegenseitige Kennenlernen zu fördern, könnten die Studierenden auf einer Landkarte, die vom Dozierenden im Kurs freigegeben wird, einen Pin für ihren Heimatort setzen. Die Analyse, Clusterbildung und Vernetzung können dann gemeinsam erfolgen. So wird Interesse geweckt und Verbindungen werden geknüpft. Hieraus können sich Fragen ergeben, wie z. B. „Warum haben Sie sich trotz Ihres weit entfernten Wohnsitzes am Bodensee für ein Studium in Kiel entschieden?“
  • Einen wichtigen Bestandteil zum Kennenlernen in den ersten Sitzungen könnte ein Format bilden, bei dem die Studierenden in Fünfer-Teams eingeteilt werden und sich in Breakout-Räumen zu vorgegebenen Fragen (Seelig, 2020) austauschen. Diese Übung könnte in den ersten Sitzungen je einmal in jeweils unterschiedlicher Teamzusammensetzung durchgeführt werden. Für dieses Speed-Dating-Format sollten 10 Minuten eingeplant werden. Die Studierenden beantworten reihum z. B. die folgenden Fragen (die Fragen sollten von Sitzung zu Sitzung abgewandelt werden, um die Spontaneität der Antworten zu erhalten).

1. Welches ist Deine Lieblingsbeschäftigung in Deiner Freizeit?
2. Welchen Themen/Bereichen folgst Du auf Instagram?
3. Welche Aufgabe würdest Du in einem Start-up übernehmen?
4. Welches ist Dein bevorzugtes Transportmittel?
5. Wie viele Schritte gehst Du durchschnittlich jeden Tag zu Fuß?
6. Welches ist Dein liebstes Erinnerungs- oder Sammlerstück?
7. Berge oder Meer?
8. Sonnenbrille oder Regenjacke?
9. Steak oder Tofu?
10. Online-Shopping oder Einkauf im regionalen stationären Handel?
11. Rio de Janeiro oder Rügen?
12. Online- oder Präsenzlehre?

  • Die Unterlegung des Auftakts und Endes einer Veranstaltung mit Musik oder die Auswahl eines themenspezifischen Hintergrundfotos können eine kreative und inspirierende Atmosphäre schaffen. Durch den Wechsel der Bilder und der Musik von Woche zu Woche kann die Aufmerksamkeit der Studierenden jedes Mal neu geweckt werden. Möglicherweise freuen sich die Studierenden sogar auf die nächste Sitzung, da sie unter anderem neugierig auf die Musik und die Hintergrundfotos sind. Um die Einbindung der Studierenden weiter zu erhöhen, könnten die Kursteilnehmer Musikwünsche für die nächste Woche äußern. Die Vorschläge können auf dem Whiteboard gesammelt und die Auswahl für die nächste Woche getroffen werden.
  • Ein regelmäßiger Wechsel der Arbeitsformen ist zu empfehlen, z. B. ein Mix aus Input des Lehrenden, Diskussion, Arbeit in Breakout-Räumen, Zeigen von Videos, Arbeit mit dem Whiteboard, Quiz/Befragung etc.
  • Die kontinuierliche Einbeziehung der Chatbeiträge ist ebenfalls empfehlenswert, um auf Fragen oder Anmerkungen der Studierenden eingehen zu können. Beim Aufgreifen der Kommentare sollte jeweils der Name des Studierenden genannt werden. Durch diese Wertschätzung fühlt sich der Studierende gut in den Kurs eingebunden und hat das Gefühl, dass seine individuellen Bedürfnisse berücksichtigt werden (Stenger, 2020).
  • Wenn der Kurs nicht zu groß ist, könnte der Lehrende die Standorte bzw. Heimatorte der Studierenden aus dem Format mit der Landkarte erwähnen.
  • Am Ende jeder Sitzung sollte der Lehrende das Feedback der Studierenden sammeln: „Welche wesentliche Erkenntnis (in einem Satz) haben Sie aus dieser Sitzung mitgenommen?“ Die Antworten werden anonym auf dem Whiteboard dargestellt. Anschließend können die Studierenden die einzelnen Beiträge bewerten. Auch die Frage, was unklar geblieben ist und in einer der nächsten Sitzungen wieder aufgegriffen werden sollte, kann einbezogen werden.

Literaturverzeichnis

Quelle und Lizenz zu diesem Artikel